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Bistum Chur

Von Tschiertschen nach Chur – ökumenische Pilgergedanken

Weniger ist mehr.

Leicht gesagt, wenn man alles hat. Aber wer sich mit Sack und Pack auf den Weg macht, merkt schnell, wenn er zu viel im Rucksack hat.

«Aus sich selbst heraus pilgern, führt zur Lebensfülle.»

Wenn ein Heissluft-Ballon hochsteigen möchte, lässt er Last, Ballast fallen.
Die Höhe, der Ausblick aus der Höhe, das Panorama erfüllt dann unser Herz.

Das Loswerden von Überflüssigem erfüllt uns, gibt unserem Leben eine grössere Erfüllung, wie es das Jahresthema des 20. Jubiläums des Vereins Jakobsweg Graubünden/Samstagpilgern zum Ausdruck bringt.

Der Mensch ist Beziehung, das menschliche Leben besteht im Grunde aus Beziehungen. Das Ich findet sich nur im Du und im Wir wieder.

Das Leben wird reicher und erfüllter durch Teilen, Dialog, Kommunikation, Austausch, Nähe, Liebe, Umarmung, Zärtlichkeit, Geschwisterlichkeit, Pflege der Gemeinschaft.

Zwei Aussagen unseres Heilandes, Jesus Christus:

«Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen» (Mt 18,20).

«Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast» (Joh 17,21).

Die anderen sind unsere Bereicherung. Damit die anderen in uns Platz nehmen können, müssen wir Platz für sie in uns machen.

Das überdimensionierte ICH ist die grösste Last, der grösste Ballast in uns.

Wikipedia sagt: «Das Ich steht im Zentrum unserer Wahrnehmungen und Gedanken und hat sogar ein eigenes Körpergefühl, die Propriozeption».

Es geht um die Zentripetalkraft, Selbstzentrierung, Selbstbeschäftigung, Egoismus…

Das Ich kann sehr schwer wiegen und so den Flug in die Höhe erschweren.

Die Gegenwart der anderen in uns bedeutet, nicht ein zusätzliches Gewicht, sondern Quelle der Entfaltung, der Ausweitung, der Kreativität, der Phantasie, des Wachstums. Das Positive in der Krise.

Wagen wir es, aus uns selbst heraus zu pilgern!

Pilgern im wahren menschlichen Sinn kann man nur gemeinsam.

ER will immer in uns sein, uns auf unserem Weg begleiten, mit uns im Leben unterwegs bleiben… Lassen wir diese Begleitung zu? Suchen wir sie? Spüren wir, dass diese Begleitung uns beflügelt?

«Was ihr den Geringsten getan habt, habt ihr mir getan». Nur durch Nähe zu den anderen erleben wir seine Nähe und gemeinsam erleben wir, wie spannend und bereichernd es ist, auf dem Lebensweg gemeinsam unterwegs zu sein.

Möge Gott uns, unserem Land, der ganzen Welt helfen, Konfrontation, Rivalität, Isolation, Nationalismen, Polarisierungen, Spaltungen, Diskriminierungen, Fundamentalismen, Kriege und Konflikte zu überwinden, zu vermeiden, zu lösen – und den Frieden bewahren. Amen

Tschiertschen, 5. Oktober 2024

Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur