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Bistum Chur

Tag der Migranten in der Liebfrauenkirche in Zürich

Liebe Mitbrüder
Liebe Schwestern und Brüder

Wie wir gerade gehört haben, stellte Jesus den Jüngern die Frage: «Für wen haltet ihr mich?» Diese Frage bleibt immer aktuell. Jesus fragt auch uns dasselbe. Ja, wer ist Jesus für uns, wer ist Jesus für mich, wer ist Jesus für dich? Petrus antwortete: «Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes».

Wir sind heute hier versammelt, feiern zusammen die Eucharistie, die hl. Messe, weil wir alle an dasselbe – besser gesagt an Denselben glauben: an Jesus Christus, den Messias, den Erlöser der Menschheit, den Sohn Gottes, der für uns und zu unserem Heil – wie es im Credo heisst – Mensch geworden ist. Aufgrund dieses Glaubens bilden wir eine Weltfamilie. Eine Weltfamilie aus vielen verschiedenen Ländern mit vielen verschiedenen Sprachen, Nationen, Kulturen, Rassen, Hautfarben und Religionen. Es ist die Familie der Kinder Gottes. Wir sind alle Geschwister. Es darf zwischen uns keine Grenzen, keine Mauern, keine Gitter, keine Barrieren, keine Diskriminierungen, keine Benachteiligungen geben.

 

 

 

 

 

 

Sicher denken jetzt viele von uns: Die Realität sieht aber leider anders aus. Was wir erleben, erlebt haben, erlitten haben, ist nicht das, was es sein sollte. Das weiss ich auch. Es gibt Nationalismen, Vorurteile, Polarisierungen, Diskriminierungen, Ungerechtigkeiten – auch in der Schweiz. Unsere Welt kennt leider schreckliche Kriege, Hass, Verfolgungen, Vertreibungen, grausame Ungerechtigkeiten. Gott ist aber Mensch geworden, hat sein Leben hingegeben, um all diese Wunden der Menschheit zu heilen. Er hat all diese Wunden auf sich genommen, um eine bessere Welt zu ermöglichen. Er hat sozusagen den ersten und endgültigsten Schritt getan. Im Herrn Geliebte, es gibt in der Welt viel zu tun. Das einzig wirklich Wirksame ist, dass wir selber beginnen, dass jeder von uns den ersten Schritt in die richtige Richtung tut. Jesus sagte: «Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach». Es geht um die Nachfolge Christi. Als Christinnen und Christen sollten wir leben, wie Christus gelebt hat und das tun, was er getan hat. Ausschlaggebend ist nicht das Kreuz, all das, was unser Leben ausmacht: die Probleme und Schwierigkeiten, die wir haben, sondern dass wir mit all dem das Leben Jesu nachahmen, dass wir ihm folgen. Jesus hat nicht für sich selbst gelebt, sondern für die anderen. Jesus ist nicht bei sich selber stecken geblieben, sondern er ist zu allen hingegangen und zwar mit offenen Armen – so wie am Kreuz. Er ist zu allen Menschen gegangen: zum Gläubigen und Ungläubigen, zu den Armen und Reichen, zu den Kindern und Greisen, zu den Kranken und Gesunden, zu den Gebildeten und Ungebildeten, zu den Juden und zu den Fremden. Zu allen ist er gegangen als Erlöser, als Freund, als Bruder. Allen hat er Vergebung, Verständnis, Frieden, Liebe gezeigt. Wollen wir ihm nachfolgen? Sind wir auch zu einem solchen Leben bereit? Jesus sagte auch zu Petrus: «Du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen».

Liebe Schwestern und Brüder, was haben wir im Sinn? Was sind unsere Pläne, unsere Beweggründe, unsere Gedanken, wie sieht unser Leben aus? Denken wir nur an uns selber? Oder sind wir bereit, für andere Sorge zu tragen, wie Jesus? Wir haben vorher die Worte aus dem Jakobusbrief gehört. Sie sind kristallklar: «Was nützt es, meine Brüder und Schwestern, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke? Kann etwa der Glaube ihn retten? Wenn ein Bruder oder eine Schwester ohne Kleidung sind und ohne das tägliche Brot und einer von euch zu ihnen sagt: Geht in Frieden, wärmt und sättigt euch!, ihr gebt ihnen aber nicht, was sie zum Leben brauchen – was nützt das? So ist auch der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat. Aber es könnte einer sagen: Du hast Glauben und ich kann Werke vorweisen; zeige mir deinen Glauben ohne die Werke und ich zeige dir aus meinen Werken den Glauben.» Dass wir glauben, dass Jesus der Sohn Gottes ist, darf nicht eine pure Theorie bleiben, ein Blablabla. Mit unserem Leben sollten wir unseren Glauben bezeugen. Unser Tun sollte die Nachfolge Christi widerspiegeln. Wenn wir uns geschwisterlich zeigen, nicht nachtragen, vergeben, Verständnis zeigen, mit allen geduldig bleiben, empathisch… Wenn wir über andere nur gut sprechen, sonst schweigen, niemanden kritisieren, allen helfen und sie lieben, dann können wir sagen, dass wir mit unserem Leben bezeugen, dass Jesus der Christus ist. Amen.

Zürich, 15. September 2024

Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur