Lieber Matteo
Liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder
Die Aufforderung des Herrn an Petrus gilt heute auch dir, lieber Matteo, und sie gilt uns allen. Als Petrus nämlich erklärte: «Herr, du weisst, dass ich dich liebe», sagte Jesus zu ihm: «Weide meine Schafe!» Wie verstehen wir das? Ich verstehe es so: Wenn wir dem Herrn sagen, dass wir ihn lieben, erklärt er uns: Damit diese Liebe nicht eine Theorie bleibt, sage ich dir: Liebe meine Schafe.
Im Herrn Geliebte, wenn unsere Liebe zu Christus nicht dazu führt, dass wir jene lieben, für die er sein Leben hingegeben hat, kann Gott mit unserer Liebe nichts anfangen. Die Nachfolge Christi konkretisiert sich in unserer Sorge, in unserem Einsatz und in unserer Liebe für alle Menschen, für die er der Heiland sein möchte. Eine Liebe, die sich damit begnügt, Gott zu lieben, ist nicht die Liebe, die Gott von uns erwartet. Deswegen hat Jesus immer wieder Gottes- und Nächstenliebe zusammen verkündet.
Bei einer Weihe werden die Kandidaten nach ihrer Bereitschaft in verschiedenen Bereichen gefragt. Die Bejahung der Fragen, das Ja ist im Grunde ein Ja zur Liebe. Gott will uns nicht für sich haben, sondern er erwartet uns in den andern. Die Diakonie, Diakon werden, das Priestertum, das Priester werden, das Papst werden und Bischof werden, sind eine Konkretisierung der Liebe zu allen Menschen, die Gott von uns erwartet.
Als kurz nach der Auferstehung Jesus Maria von Magdala begegnete, wollte diese ihn festhalten, packte ihn an den Füssen. Der Auferstandene sagte ihr aber: Halte mich nicht fest, geh zu meinen Brüdern und erkläre ihnen, dass sie Kinder des göttlichen Vaters sind, wie ich es bin. Jesus behält nie unsere Liebe für sich selbst. Er will, dass unsere Liebe die anderen erreicht. Als die Samariterin am Jakobsbrunnen nach dem Dialog mit dem Herrn schliesslich verstand, dass er der Messias ist, blieb sie nicht dort am Brunnen, um ihn für sich zu haben und ihn zu behalten, sondern sie ging in das Dorf, um allen zu verkünden, dass sie den Messias, die Quelle des Lebens, des Wassers, das zum ewigen Leben fliesst, gefunden hat. Sie ist Vermittlerin der Liebe geworden. Als Jesus das Ausschlaggebende im Leben verkündete, erklärte er, wie wir wissen: Wenn ihr Nackte, Gefangene, Kranke, Hungrige, Leidende geliebt habt, habt ihr mich geliebt und wenn ihr das nicht getan habt, habt ihr mich nie geliebt.
Lieber Matteo, wenn du heute meinst, ich habe das verstanden, jetzt nach meiner Weihe zum Diakon werde ich beginnen, die anderen so zu lieben, wie es Jesus von mir erwartet, aber du dies nicht schon bereits vorher getan hättest, hättest du nicht verstanden, was es heisst, ein Christ, eine Christin zu sein und wärest kein geeigneter Kandidat, um Diakon zu werden. Und wenn wir alle hier Anwesenden meinen würden, dass Gott nur von Klerikern und Nonnen erwartet, durch die Sorge und Liebe für die Mitmenschen geliebt zu werden, wären wir nicht die Christinnen und Christen, die Gott braucht.
Im Herrn Geliebte, eine Frömmigkeit, ein Glaube, eine Gottesliebe, die sich wie abgesondert in einer Wolke, getrennt von Liebe und Verantwortung für die Welt gelebt werden, haben wenig mit der Nachfolge Jesu zu tun.
Die Worte des Propheten Jesaja passen hier ausgezeichnet. Die Salbung ist immer eine Sendung. Eine Sendung zu den Armen, ja, um ihnen eine Frohbotschaft zu bringen. Die Weihe ist immer eine Sendung, um jene zu heilen, die im Herzen Wunden tragen. Das Sakrament der Weihe ist immer eine Sendung, um jene, die verstrickt in allerlei Gefangenschaften sind, frei zu machen. Es geht darum, die Gnade des Herrn zu verkünden und Trauernde zu trösten, es geht um Wiederaufbau, um Begegnung und Zuversicht, um Hoffnung und um Fremden und Ausländern ein Zuhause anzubieten. Nur so werden wir alle Priester des Herrn genannt werden.
Lieber Matteo, du bist nun berufen und wir alle mit dir und du mit uns allen, Zeuge der Frohbotschaft zu sein. Es gibt schon genug, was eine Belastung für die Menschen bedeutet. Die unmöglichen Umstände in unserer Welt, die Härte und die Engpässe, die Einschränkungen und Widrigkeiten können wir nicht unbedingt beseitigen, aber wir sind dazu berufen, Werkzeuge der Gnade zu sein, welche in all diesen Situationen die innere Haltung verändert. Es geht darum, eine Brille der Liebe für die Welt zu sein, damit alle spüren, dass sie immer und trotz allem, von Gott geliebt, gewollt und auserwählt sind. Matteo, sei immer ein Diener der Herzenserneuerung, ein Diener der Hoffnung. Vermittle die Gewissheit: Wir gehören dem Herrn. Sei stets Diener der Liebe.
Der liturgische Gruss: Der Herr sei mit euch oder im Fall des Bischofs: Der Friede sei mit euch, sollte im Grunde direkter, unmittelbarer tönen. Im Glauben können und sollten wir sagen: Der Herr ist mit euch, der Friede ist mit euch, die Liebe ist mit euch und diese Liebe wird euch niemals verlassen. Amen.
Küsnacht, 26. Oktober 2024
Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur
Fotos: zVg