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Bistum Chur

Homilie von Bischof Josef Maria Bonnemain zum Weltjugendtag mit Impressionen

Liebe Jugendliche und junge Erwachsene
Liebe Mitbrüder
Liebe Schwestern und Brüder

Ich beginne mit einer Frage: Warum sind wir alle heute hier? Wahrscheinlich würden wir antworten: Ich habe vom Weltjugendtag gehört, ich war andere Jahre schon dabei, es hat mich interessiert und ich habe mich entschlossen zu kommen, mitzumachen, teilzunehmen. Nicht wenige von euch würden sicher auch sagen bzw. antworten: Ich bin da, weil ich etwas für Gott tun möchte, für die Kirche, ich möchte mich engagieren, ich möchte für die Mitmenschen, für die Welt etwas Gutes tun. All das stimmt einerseits, dennoch würde ich meinen, dass es nicht die treffendste Antwort ist.

Wir sind heute hier, weil Gott sich für uns entschieden hat. Er macht immer den ersten Schritt und den endgültigen Schritt. Er hat sich seit eh und je für uns entschieden. Er sucht uns, er bezirzt uns, er macht uns den Hof, er will unser Herz erobern, er liebt uns und er wird niemals aufhören, das Unmöglichste zu unternehmen, um uns lieben zu dürfen, Er bettelt bei uns um Liebe: «Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!» Wir haben es mit einem Gott zu tun, der uns sagt: Bleib bei mir, sei mir in der Liebe treu, vergiss mich nicht, verlass mich nicht. Wie reagieren wir darauf? Fühlen wir uns ergriffen, zutiefst berührt, dass Gott sich so zu uns herablässt?

Diese Haltung Gottes kommt sowohl im Brief des hl. Johannes wie auch im heutigen Evangelium sehr prägnant zum Ausdruck: «Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt». Und vom hl. Johannes haben wir gehört: «Darin besteht die Liebe: Nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat». Er gibt uns nicht etwas, sondern sich selbst ganz. Er liefert sich uns ganz aus, nicht weil wir es verdienen, nicht wegen unserer Vorzüge, sondern er schenkt sich uns, so wie wir sind, mit unserer ganzen Armseligkeit. Die echte Liebe sucht nicht etwas bei den andern, sondern schenkt sich ganz, ohne etwas zu erwarten.

Liebe Schwestern und Brüder, Gott ist für uns endgültig und für immer Mensch geworden. Er hat sich mit uns restlos und endgültig, unauflöslich und ganz in einer Liebespartnerschaft, in einem Liebesbund vereinigt; das ist das Geheimnis der Menschwerdung. Um uns zu erlösen, hat er all das Unsere übernommen, auch unsere Sünden. Diese Radikalität ist die Radikalität der echten Liebe, alles andere geschieht aus Interesse, Kalkül und Geschäft.

Wenn wir hören, dass der Herr uns sagt: «Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe», könnten wir einwenden: Wie kann die Liebe ein Gebot sein? Die Liebe ist ein Gefühl, die Liebe ist spontan, die Liebe besteht aus Freiheit. Jein! Eine Liebe, die unverbindlich bleibt, die von Laune, Zeit und Leistung abhängig ist, ist eine billige, kleinliche Liebe. Die Liebe kalkuliert nicht, die Liebe riskiert alles. Nur die letzte Verbindlichkeit macht die Liebe traumhaft und erfüllt uns mit Freude, selbst mitten im Leid. Zu wissen, dass der oder die uns liebt, zu wissen, dass Gott uns liebt, selbst wenn wir keine Verdienste vorweisen können, selbst wenn wir nur Niederlagen und Scheitern vorzuweisen haben, macht unsere Existenz hell, mitten in der Dunkelheit. Wenn man in einer Partnerschaft den Eindruck hat, um weitergeliebt zu werden, muss ich etwas leisten, Errungenschaften, Erfolge erzielen, mich von der besten Seite präsentieren, leben wir stets im Stress. Es ist wahnsinnig schön, sich geliebt zu wissen wegen uns selber und nicht wegen unserer Vorzüge. Erst dann fühlt man sich restlos zuhause, in der Liebe beheimatet.

Liebe Jugendliche, dass wir heute hier sind, ist wunderbar. Aber wunderbar wird unser Leben, wenn jeder Tag ein Weltjugendtag wird. Es ist nicht genug, wenn wir Gott ein paar Tage schenken, wenn wir je nach Situation für die anderen, für die Welt etwas tun. Wir sollten das Beispiel Jesu nachahmen: Ja sagen zu Gott, wie Gott zu seinem Sohn Ja sagt und wie der Sohn für immer Ja zu seinem Vater sagt. Nur eine Liebe, die endgültig sein will, verdient diesem Namen. Ich habe den Eindruck, dass gerade die Verbindlichkeit nicht die Stärke unserer Zeit ist. Wir unternehmen vieles, aber wir möchten uns die Möglichkeit eines Rückziehers, die Möglichkeit anderer Optionen offenlassen. Ich bin überzeugt, wenn Jesus von der vollkommenen Freude spricht, spricht er von der Freude, die entsteht, wenn wir wissen, dass wir für immer im Herzen Gottes ein Zuhause haben und wenn wir bereit sind, dass die anderen in unserem Herzen immer Heimat finden können.

Schon die Römer benutzten den Ausdruck «alle Brücken hinter sich abbrechen» oder auch den Ausdruck: «die Schiffe hinter sich verbrennen». Es geht darum, sich bewusst zu werden, dass nur ein Sieg den Heimweg ermöglichen kann. Die Liebe liefert sich aus. Wenn wir verstehen, dass Gott die Liebe ist, riskieren wir ein lebenslanges Wagnis der Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen. Die einzige Brücke wird dann Jesus. Über ihn gelangen wir zum Vater. Das Herz der andern und das Herz Gottes ist das einzige Schiff, das uns in die Ewigkeit führt.

Oft hören wir, dass die Jugendlichen die Zukunft der Kirche sind. Damit bin ich nicht ganz einverstanden. Jeder Mensch ist die Zukunft und die Gegenwart der Kirche, weil jeder Mensch der Mittelpunkt der Liebe Gottes ist; aus dieser Liebe kann die Welt entstehen, von der Gott träumt. Es braucht aber Menschen, die nicht portionsweise, nicht nur auf Zeit, sondern sich endgültig engagieren.

Die Liebe wagt, eine sich verpflichtende Liebe zu sein, die beste Freiwilligkeit ist eine Freiwilligkeit, die sich freiwillig dazu verpflichtet. Die Freude eines Weltjugendtages sollte eine Freude sein, die sich dazu verpflichtet, unter allen und jeden Umständen – auch unter den widrigsten – Freude für die anderen zu werden.

Wenn wir heute Abend alle nach Hause zurückgehen, ist das Beste, das Geschehen kann, dass jeder von uns still im Herzen ein endgültiges Ja zu Gott und zu den Menschen ausgesprochen hat. Ein Liebesja, das jeden Morgen und jeden Abend erneuert wird. Amen

 

Chur, 5. Mai 2024

Joseph Maria Bonnemain,
Bischof von Chur

Fotografie/Video
Nicole Büchel
Alex Zoller