Liebe Mitbrüder,
liebe Schwestern und Brüder
Das heutige Evangelium beginnt mit der Feststellung: «Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war…» Diese Stunde, dieser Augenblick hat bis heute nie mehr aufgehört. Es ist der Moment, in dem Gott für das Heil der Menschheit sein Leben hingibt. Das geschieht stets im Heute. Und das macht das Geheimnis der Eucharistie aus. Die Eucharistie ist Gedächtnis und Vergegenwärtigung der Hingabe des Sohnes Gottes für das Heil der Menschen. Wir haben es mit einem Gott zu tun, der sich mit seinem Leben zu unseren Füssen niederkniet, um all das rein zu waschen, was unser Leben entstellt, belastet und erniedrigt. Wie Papst Franziskus gerne sagt, die Eucharistie ist nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern Nahrung für die Bedürftigen. Sobald wir die eigene Armseligkeit einsehen, dürfen wir wissen, dass der Herr in der Eucharistie für uns da ist. Die Eucharistie ist die unendliche Barmherzigkeit Gottes den Menschen gegenüber.
Im heutigen Evangelium kommen vor allem zwei Apostel zum Vorschein, nämlich Judas und Petrus. Die Haltungen der beiden sind aber sehr verschieden. Beide sassen am Tisch des Herrn. Beide haben den Leib und das Blut des Herrn empfangen. Äusserlich taten sie dasselbe; die innere Einstellung aber war ganz verschieden. Petrus war sich seiner Armseligkeit bewusst. Nach dem Mahl, als Jesus allen die Füsse waschen wollte, hören wir noch seine spontane Reaktion: «Niemals sollst du mir die Füsse waschen!» Das sagte er nicht, weil er behauptet, keine Vergebung und Reinigung nötig zu haben, sondern im Gegenteil: Er fühlte sich nicht würdig. Das war schon – wenn wir uns daran erinnern – seine Reaktion beim ersten Mal, als er Jesus begegnete und den wunderbaren Fischfang erlebte: «Geh weg von mir, ich bin ein Sünder.» Die Sünden trennen uns nicht vom Herrn, weil er sich für die Sünder geopfert hat. Die Einsicht in unsere Fehler bringt uns zum Herrn. Seine Antwort an Petrus verdeutlicht dies: «Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir.»
Judas hingegen hat kommuniziert wie die anderen. Er hat sich mühelos die Füsse vom Herrn waschen lassen. Innerlich aber sah er absolut nicht ein, dass die Hingabe des Lebens seines Meisters der Weg ist, den Gott gewählt hat, um den Menschen zu erlösen. Und als der Herr ihm die Füsse wusch, fühlte er sich nicht unwürdig, sondern verstand dies wahrscheinlich viel mehr als eine unwürdige Haltung des Meisters. Er war im Dunkel der Arroganz. Anstatt sich zu bekehren, die eigene Armseligkeit einzusehen, wollte er, dass Jesus seine Vorstellungen vom Messias entspräche und mit aller Macht und Gewalt nun endlich handeln würde.
Was wir heute, am Gründonnerstag feiern, lädt uns ein, Eucharistie für die Welt zu werden. Heute verschmelzen sich zwei Geheimnisse des göttlichen Herzens in ein einziges. Wir feiern die liebende Lebenshingabe Gottes zu Gunsten des Menschen und die Bereitschaft Gottes, alles, was uns belastet, uns von ihm trennt und erniedrigt, zu reinigen. Er will zu unseren Füssen sein, um uns aufzuheben und zu erhöhen. Nur indem wir uns diese Haltung zu eigen machen, bereiten wir uns richtig für den Empfang der Vergebung, der Versöhnung und für den Empfang der Eucharistie vor. Die Sakramente zu empfangen, ist nicht etwas rein Äusserliches, es geht dabei vielmehr um innere Gesinnung. Denken wir nochmals an Petrus und Judas.
Die Einladung des Herrn – nachdem er seinen Leib und sein Blut den Jüngern gab – nämlich: «Tut dies zu meinem Gedächtnis!», geht heute auch an uns. Wir kommunizieren wirklich, wenn wir in der Kommunion den Beschluss fassen – wie Jesus – Nahrung für die anderen zu werden. Wir kommunizieren würdig, wenn wir begreifen, dass die Wirkung der Eucharistie erst nach dem Kommunionempfang beginnt, indem wir unser Leben für die anderen einsetzen. Ist es so?
Als Jesus den Aposteln die Füsse gewaschen hatte, erklärte er ihnen: «Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.» Die Fusswaschung war und ist Fortsetzung der Eucharistie. Judas konnte dies freilich nicht begreifen. Jesus ist in die Welt gekommen, nicht um zu urteilen und zu verurteilen, sondern um zu heilen. Er ist gekommen, als Vergebung und als Erlösung. Sind wir Erlösung für unsere Mitmenschen und Erlösende unserer Mitmenschen? Bringt unsere Art, mit dem andern umzugehen, ihnen Belastung oder Entlastung? Wie steht es mit unserer Vergebungsbereitschaft? Sind wir bereit, das Leben der anderen von allen Belastungen zu befreien? Unsere Aufgabe als Christinnen und Christen besteht darin, andere nicht zu beschuldigen, sondern zu entschuldigen und dies aus Herzensüberzeugung. Wenn wir so handeln, werden wir wirklich eucharistische Menschen. Amen
Chur, 28. März 2024
Joseph Maria Bonnemain,
Bischof von Chur