Geschätzte Mitglieder des Corpus Catholicum
Die Entstehung, Geschichte und Zusammensetzung des Corpus Catholicum sind ein Beweis dafür, wie sehr im Menschen die politische und die religiöse Dimension zusammentreffen. Der Homo politicus und der Homo religiosus sind nicht zwei verschiedene Menschen, sondern die Realität des einen Menschen. Deswegen ist es auch richtig, dass sich beide Elemente im gesellschaftlichen Leben widerspiegeln und sich gegenseitig befruchten. Man könnte wohl paraphrasierend sagen: was im einzelnen Menschen verbunden ist, darf man korporativ nicht trennen. So ist es für mich – als noch ziemlich neuer Bischof von Chur – eine grosse Freude heute hier unter Ihnen sein zu dürfen und Ihnen einige Worte der Anerkennung und der Dankbarkeit auszusprechen.
Unser Bistum ist vielseitig und umfasst sehr verschiedene Regionen und Kantone. Dennoch bleibt es – wie auf solidem Granit – von seinem Ursprung her auf Bündner Boden stehen – untrennbar verbunden mit der Geschichte und den Geschicken der Stadt Chur und des Kantons Graubünden. Darauf darf ich doch – obwohl Nichtbündner – stolz und mir der entsprechenden Verantwortung bewusst sein.
Das Corpus Catholicum ist einerseits Parlament, die Legislative der katholischen Landeskirche Graubünden, ein demokratisch aktives Organ. Andererseits ist es noch viel mehr als das, weil die katholische Konfession wesentliches Merkmal seiner Mitglieder ist. Es geht auch um ein Bekenntnis und um die Bereitschaft innerhalb der katholischen Landeskirche mitzutragen, mitzugestalten und mitzuentscheiden. Und wie ich schon gesagt habe: dies entspricht der Realität des menschlichen Geistes, dem eine Synergie zwischen religiösem und politischem Wirken charakteristisch ist. Zugleich muss der volle Respekt und die Aufrechterhaltung der Autonomie beider Realitäten anerkannt werden.
Diese Erwägungen veranlassen mich, einiges über die Weltsynode 2023 zur Sprache zu bringen, deren Beginn auf Diözesanebene – wie Sie wohl wissen – am vergangenen 17. Oktober in Einsiedeln mit Firmandinnen und Firmanden des Bistums stattgefunden hat. Das Thema der Synode ist ausgerechnet die Synodalität, die der Heilige Vater in drei Begriffen zusammengefasst hat: Gemeinschaft, Partizipation, Mission. Ja, wir haben als Kirche die Heilssendung wahrzunehmen. Da sollten wir alle aktiv mitmachen: Laien und Geweihte, Junge und Betagte, Frauen und Männer, Politiker und politisch Unbeteiligte, Intellektuelle und Arbeiter, alle sollten wir für das Heil der Menschen wirken und mit der Frohbotschaft überall hingehen. Eine Botschaft, die sehr schlicht und einfach zusammengefasst werden kann: Mensch, Gott liebt dich. Gott ist in dich verliebt. Das bleibt das Unveränderbare in deinem Leben, sei zuversichtlich, öffne dich dieser Liebe gegenüber.
Das Umsetzen dieser Sendung, dieser Mission, kann nicht im Alleingang vorgenommen werden. Die Kirche ist immer ein Wir: Familie, Geschwisterlichkeit, ein Wir, das den Wunsch hat zu wachsen, für alle ein Zuhause zu sein, eine geschwisterliche Gemeinschaft, in der alle mittragen, alle Mitspracherecht haben, mitentscheiden und mitveranworten. Eben: es geht um Gemeinschaft und Partizipation. Das sind nicht Nebensächlichkeiten in der Kirche, sondern gehört zu ihrem Wesen.
Gerade kürzlich sagte Papst Franziskus betreffend die Synode unter anderem folgendes:
«Die Schlüsselworte der Synode sind drei: Gemeinschaft, Partizipation und Mission. Gemeinschaft und Mission sind theologische Ausdrücke, die das Geheimnis der Kirche bezeichnen und die es wert sind, dass sie sich immer wieder ins Gedächtnis ruft. Das Zweite Vatikanische Konzil hat deutlich gemacht, dass die Gemeinschaft das Wesen der Kirche selbst zum Ausdruck bringt, und gleichzeitig bekräftigt, dass die Kirche die Sendung erhalten hat, »das Reich Christi und Gottes anzukündigen und in allen Völkern zu begründen. So stellt sie Keim und Anfang dieses Reiches auf Erden dar« (Lumen gentium, 5). Mit diesen beiden Worten betrachtet und imitiert die Kirche das Leben der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, die ad intra Geheimnis der Gemeinschaft und ad extra Ursprung der Mission ist. Nach einer Zeit lehrmäßigen, theologischen und pastoralen Nachdenkens, die die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils kennzeichneten, wollte Paul VI. »die vom Konzil verkündeten Hauptlinien« in eben diesen beiden Worten – Gemeinschaft und Mission – zusammenfassen. Im Gedenken an die Eröffnung des Konzils sagte er, die Grundlinien seien »die Gemeinschaft, das heißt der Zusammenhalt und die innere Fülle in Gnade, Wahrheit und Zusammenarbeit […] und die Sendung, das heisst der apostolische Einsatz in der Welt von heute« (Angelus, 11. Oktober 1970).»
Hier sollten wir eine kühne Vision für die kommenden Jahre entfalten. Nämlich: wie kann unsere Kirche im Bündnerland, wie können die Kirchgemeinden, die Pfarreien, die verschiedenen Organe und Strukturen der Landeskirche die Merkmale einer christlichen Gemeinschaft aufweisen? Es geht um Integration und Wertschätzung von verschiedenen Kulturen, Sprachen, Interessen, politischen Richtungen, Weltanschauungen. Diese Vision konkretisiert sich in einem echten Angebot eines attraktiven, warmen, lichtvollen Zuhauses für alle. Es setzt sich in einer Willkommenskultur um. Es geht auch um die Frage echten Dialogs, der Kommunikation und des Austauschs. Und Dialog besteht nicht bloss aus Reden und Besprechen, sondern setzt echtes Interesse, beständiges Zuhören und eine grosse Aufnahmefähigkeit voraus. Ich bin erst zum Dialog bereit, wenn ich von der tiefen Überzeugung ausgehe, dass das, was der andere mir sagen kann und sagen möchte, eine Bereicherung für mich wird. Die anderen sollten für uns stets die Entdeckung eines Reichtums, eines Schatzes sein, der – vielleicht verborgen – vor uns liegt. Deswegen sollte Religion nie mit Aufdrängen, Indoktrinieren oder Zwang zu tun haben. Der Weg und die Mittel zur Ausbreitung der eigenen religiösen Überzeugungen sollten einzig aus der eigenen Anziehungskraft und dem Lebensbeispiel bestehen.
Synodalität und Demokratie weisen bestimmt einzelne gemeinsame Komponenten auf, unterscheiden sich jedoch grundsätzlich. In der Demokratie geht es darum, die Entscheidung der Mehrheit zu akzeptieren und um- bzw. durchzusetzen. So sind in ihrem Bereich Parteiprogramme, Fraktionen, Lobbyarbeit, Kampagnen und Kompromisse berechtigt. Die Synodalität tickt ganz anders. Die echte synodale Gesinnung besteht wesentlich darin, dass man einander zuhört, die Stimme des Heiligen Geistes wahrzunehmen versucht, diese Stimme durch die Stimme der anderen entdeckt und so nach und nach – nach einem individuellen und gemeinsamen Ringen – zu einem Ergebnis kommt, welches – wenn möglich von allen – innerlich und äusserlich akzeptiert und getragen wird. Es geht um einen Prozess der Veränderung und der Verwandlung, um sich gemeinsam im Willen Gottes zu finden. Bekanntlich lautete die einleitende Formel nach dem ersten Konzil, welches ein paar Jahrzehnte nach Christi Himmelfahrt in Jerusalem stattfand, folgendermassen: Der Heilige Geist und wir haben entschieden.
Entscheidungen, Massnahmen und Bestimmungen der kirchlichen Synodalität haben keinen Selbstzweck. Es geht um eine Kirche, die sich selbst vergisst, die keinen Eigennutz sucht und keine Nabelschau pflegt. Diese Befreiung von der Pflege der eigenen Fassade ist stets ein Wagnis und eine dauernde Herausforderung. Wenn wir ehrlich sind – darf ich es sagen? – haben wir alle ein wenig die Tendenz zur Selbstbeschäftigung und Selbstzentriertheit. Das kirchliche Leben aber sollte in Mission und Sendung münden. Ich habe von Fassadenpflege gesprochen. Es ist selbstverständlich angebracht, dass die Fassaden unserer sakralen Gebäude gepflegt, restauriert, renoviert werden. Ausschlaggebend aber ist nicht, was mit den Gebäuden geschieht, sondern was in den Gebäuden stattfindet. Abgesehen davon sind das wichtigste kirchliche Gebäude wir selber: die Gläubigen. Ich wage die Frage zu stellen: mit welchen finanziellen Prioritäten und Gewichtungen handeln wir? Für was werden vor allem und zuerst im Bistum, in der Landeskirche, in den Kirchgemeinden, in den Pfarreien die materiellen Mittel eingesetzt? Es gibt so viel Not und Elend um uns herum und in der ganzen Welt. Es geht um eine radikale und konsequente diakonische Einstellung auf allen Ebenen. Der Papst spricht oft von der Peripherie, von den Rändern und wir kennen sie: Suchende, Glaubensferne, Ausgetretene, Kritiker, Ausgestossene, Minderheiten, Diskriminierte, Leidende, Benachteiligte usw.
In seiner vorher bereits erwähnten Ansprache sagte Papst Franziskus weiter:
«Zum Abschluss der Synode von 1985, zwanzig Jahre nach Abschluss des Konzils, wollte Johannes Paul II. noch einmal darauf hinweisen, dass das Wesen der Kirche die koinonia ist: Aus ihr ergibt sich die Sendung, Zeichen der innigen Vereinigung der Menschheitsfamilie mit Gott zu sein.» Und er fügte hinzu: «Deshalb ist es angebracht, dass in der Kirche ordentliche und – falls erforderlich – auch ausserordentliche Synoden abgehalten werden«, die, um Früchte zu bringen, gut vorbereitet sein müssen: »d.h. es wäre sinnvoll, wenn in den Ortskirchen die Vorbereitungsarbeiten unter Beteiligung aller erfolgten (Ansprache bei der Schlussversammlung der Zweiten Ausserordentlichen Bischofssynode, 7. Dezember 1985). Hier erscheint also das dritte Wort: Partizipation. Die Begriffe Gemeinschaft und Mission laufen Gefahr, ein wenig abstrakt zu bleiben, wenn man nicht eine kirchliche Praxis pflegt, die die Konkretheit der Synodalität in jedem Schritt des Weges und des Vorgehens zum Ausdruck bringt und die wirkliche Beteiligung eines jeden Einzelnen fördert. Ich möchte sagen, dass die Feier einer Synode immer schön und wichtig ist, aber sie ist erst dann wirklich fruchtbar, wenn sie zu einem lebendigen Ausdruck des Kircheseins wird, zu einem Handeln, das von echter Beteiligung geprägt ist. Und das ist so, nicht aus Gründen des Stils, sondern des Glaubens. Die Teilnahme ergibt sich notwendig aus dem Glauben an die Taufe. Wie der Apostel Paulus sagt: »Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen« (1 Kor 12,13). Im Leib der Kirche nimmt alles hier seinen Ausgang – in der Taufe. Aus der Taufe, unserer Lebensquelle, leitet sich die gleiche Würde der Kinder Gottes ab, wenn auch in der Verschiedenheit der Ämter und Charismen. Deshalb sind alle aufgerufen, am Leben der Kirche und ihrer Sendung teilzunehmen. Wenn nicht das ganze Volk Gottes wirklich daran teilnimmt, besteht die Gefahr, dass die Rede von der Gemeinschaft nur eine fromme Absicht ist. Wir haben in diesem Bereich Fortschritte gemacht, aber es ist noch etwas mühsam, und wir können nicht umhin, das Unbehagen und das Leid vieler pastoraler Mitarbeiter, der partizipativen Organe in den Diözesen und Pfarreien, der Frauen, die oft noch am Rande stehen, zu registrieren. Die Teilnahme aller ist eine wesentliche kirchliche Verpflichtung! Aller Getauften. Das ist der Personalausweis: die Taufe».
Hochgeschätzte Mitglieder des Corpus Catholicum, ja, das ist unser Personalausweis. Mit diesem Ausweis sind wir berechtigt und dazu berufen, eine synodalere Kirche zustande zu bringen. Eine Kirche, in der Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung nicht blosse Floskeln bleiben. Dafür brauchen wir aber einen langen Atem und sehr viel Geduld. Die jetzige Synode, die im Herbst 2023 zu Ende gehen wird, wird zuerst «nur» diese synodale Entfaltung der Kirche – so hoffen wir – zustande bringen. Wenn uns dies aber gelingt, wird man, gestützt und dank der partizipatuivenWege, anschliessend die sogenannten heissen Eisen, die immer wieder zur Sprache gebracht werden, effektiv angehen können. Zuerst ist die synodalere Umgestaltung erforderlich, welche z.B. eine grössere regionale Entscheidungsbefugnis einschliesst, die auch eine konsequentere Subsidiarität ermöglicht. Deswegen möchte ich Sie nun am Schluss sehr ermutigen, bei der synodalen Umfrage aktiv mitzumachen. Jede Gruppe ab 5 Personen unterschiedlichster Couleur soll und kann bei der Online-Befragung ihren synodalen Beitrag leisten.
Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen Gottes reichen Segen für Ihr synodales Wirken.