Geschätzte Synodalen,
liebe Gäste,
liebe Schwestern und Brüder
Beim Betrachten des heutigen Evangeliums habe ich mich öfters gefragt, warum Jesus den Geheilten aufforderte, seine Tragbahre nach Hause mitzunehmen. Wozu, warum? Die Bahre erfüllt für diesen ehemaligen Gelähmten eine sinnbildliche Funktion. Bei ihrem Anblick bleibt ihm eindrücklich gegenwärtig, was der Herr für ihn getan hat. So konnte er sich ein Leben lang daran erinnern, dass das Heil nicht von ihm selbst, sondern vom Heiland der Welt kommt.
Wer von uns hat eine Tragbahre zu Hause? Vielleicht an einem prominenten Ort, an der Wand hängend? Oder vielleicht an einem diskreten Ort, aber für uns persönlich immer sichtbar und wirksam. Es geht darum, ein Symbol zu haben, im besten Sinn ein Denk-Mal für die Taten Gottes, für das Wirken Gottes, für seine Unterstützung, Vergebung und Barmherzigkeit in unserem Leben. Dies alles haben wir mehrfach erfahren und wir erfahren es immer wieder. Nur so entspringt eine grosse Dankbarkeit unserem Herzen für das Wirken Gottes in unserem Leben. Das Wichtigste ist nicht Eigenleistung und entsteht auch nicht allein dank unseres Organisationstalentes.
Es ist mir ein echtes Bedürfnis, Ihnen herzlich zu danken – den neuen und bisherigen Synodalen – für Ihre Bereitschaft, als Synodenmitglieder der römisch-katholischen Körperschaft des Kantons Zürich, Verantwortung zu übernehmen. Sie beraten und entscheiden über die materielle und finanzielle Grundlage des Wirkens und der Entfaltung der katholischen Kirche im Kanton Zürich. Ihr Können, Ihre Erfahrung, Ihre Zeit und Ihre Kompetenzen setzen Sie dafür grosszügig ein – Dankeschön. Das ist wertvoll und unersetzbar; darauf zählt Gott und dadurch wirkt er. Gleichzeitig – wie es uns im heutigen Evangelium sehr bildhaft vor Augen geführt wird – ist das, was wir Menschen tun, nicht das Wichtigste für eine lebendige und glaubwürdige Kirche, sondern das Wirken Gottes mitten unter uns. Nicht, was wir alleine zustande bringen, sondern die Zuwendung Gottes, sein Beistand, seine Gnade, seine Heilskraft, seine Vergebungsbereitschaft bleiben unentbehrlich.
Gerade im ersten Satz des Berichtes über die Heilung des Gelähmten kommt eine bedeutsame Feststellung zur Sprache, nämlich: Jesus «kam in seine Stadt». Es handelt sich hier – meine ich – um viel mehr als eine Orts- bzw. logistische Bezeichnung. Irgendwie wird hier das Zentrale unseres christlichen Glaubens angesprochen: das Kommen Gottes zu uns. Das Irdische ist endgültig Stadt Gottes, Haus Gottes, Ort Gottes geworden. Es gibt nichts Profanes mehr. Alles ist sakraler Boden geworden. Gott kommt zu uns – immer – wir können stets bei ihm sein. Das Unsere ist das Seine und das Seine ist das Unsere. Weltliche Angelegenheiten und Beschäftigungen trennen uns nicht von Gott. Sie sind gläubige Synodale. Nicht nur das, was Sie während den Sitzungen der Synode beraten und bestimmen, hat mit Gott zu tun, sondern Ihr gesamtes Leben, alle Ihre Beschäftigungen sind Augenblicke, Gelegenheiten und Orte der Gottesbegegnung. Sich für eine gerechte Weltordnung einzusetzen, sich für bessere politische, soziale und wirtschaftliche Rahmenbedingungen auszusprechen, sich dezidiert für die Bewahrung der Schöpfung zu engagieren, Verantwortung für die Klimafrage zu übernehmen, Armut und jegliche Diskriminierung zu bekämpfen und für den Frieden zu arbeiten, sind Gottes Anliegen an alle Christen. Es geht um sein Zuhause unter uns, unser gemeinsames Zuhause als Kinder Gottes.
Die Menschen trugen den Gelähmten auf einer Tragbahre zu Jesus. Ich nehme dieses Bildnis als Metapher, Ihnen heute, hier mein Anliegen für Ihre Aufgabe im Lichte des Glaubens zu beschreiben. Wir sollten dringend – Sie sollten – eine gelähmte, kranke, entstellte, infizierte Kirche zu Jesus bringen. Wir werden mit unseren alleinigen Kräften – selbst durch den Einsatz aller menschlichen Massnahmen, die zweifelsohne auch unentbehrlich sind – die Wunden der Kirche nicht heilen können. Warum war Jesus bereit, den Gelähmten zu heilen? Schauen wir nochmals ins Evangelium. Es heisst: «Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: Hab Vertrauen, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!» Es ist also eine Frage des Glaubens. Nur im Glauben werden wir uns wirksam für die Kirche engagieren können. Als Frauen und Männer eines reifen, tiefen und soliden Glaubens, können Sie eine dynamische und blühende Kirche mitgestalten. Die Erneuerung der Kirche geschieht durch uns, weil wir die Kirche sind. Wir sind Kirche.
Liebe Mitfeiernde dieses Gottesdienstes, unsere Kirchlichkeit drückt sich in unserer Fähigkeit aus, den Weitblick zu haben für all das, was Gott für die Kirche, für die Welt, für uns tut. Unsere persönlichen Tragbahren helfen uns, dieses Bewusstsein wachzuhalten. Insbesondere am Anfang dieser neuen Legislaturperiode wiederhole ich meinen herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft, dieses Glaubensabenteuer zu wagen. Möge Gott Ihr Wirken reichlich segnen.
Zürich, Liebfrauenkirche, 6. Juli 2023