Liebe Mitbrüder
Liebe kirchliche und politische Behörden
Liebe Geschwister aus den anderen christlichen Kirchen
Liebe Pfarreiangehörige, Gäste und Gottesdienstmitfeiernde
Liebe Schwestern und Brüder
Johannes der Täufer rief laut und verkündete das Kommen des Erlösers, des Messias, des Heilandes. Seine Botschaft verdichtete sich in den Worten: «Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe».
Als Jesus in die Welt kam, war uns im Grunde das Himmelreich am nächsten. Der Glaube ermöglicht die Gegenwart des Heilandes weiterhin unter uns und deswegen dürfen wir im Glauben davon überzeugt sein, dass auch im Heute das Himmelreich nahe ist.
Dennoch könnten wir den Eindruck haben, dass das Himmelreich alles andere als nahe ist. Wer von uns fragt sich nicht – Anbetracht bestimmter Ereignisse – wo ist Gott? Wenn wir die abgrundtiefen Grausamkeiten in der Welt, die Kriege, die Ausbeutung der Schöpfung, die Verfolgung von Christen, die Millionen von Menschen, die auf der Flucht sind, die Naturkatastrophen betrachten, fragen wir uns instinktiv: Kümmert sich Gott noch um die Welt? Und ich frage: Ist das die richtige Frage? Oder sollten wir uns vielmehr fragen: Kümmern wir uns um die Nähe Gottes? Gott sucht weiterhin den Menschen. Er will weiterhin uns nahe sein, der Immanuel, der Gott mit uns, der Gott in uns, der Gott unter uns und zwar als Heil für alles, was in der Welt schief geht. Ist es nicht so – wenn wir ganz ehrlich sind – dass wir manchmal völlig abgelenkt sind, dass wir uns von allerlei Anliegen, Wünschen, Träumen, Sorgen, Freuden zerstreuen lassen und nicht mehr wahrnehmen, dass er, der Heiland, uns liebend nahe sein möchte? Die Frage, die Gott am Anfang der Schöpfung Adam stellte: «Adam, wo bist du?» bleibt die dauernde Frage im Zusammenhang mit allen Engpässen der Welt und der Geschichte. Deswegen sind die Worte des Täufers auch heute höchst aktuell: Kehr um, Mensch, laufe nicht von Gott weg, sondern geh zu ihm hin, der dich sucht, der dich liebt und in deiner Nähe sein will.
Die Kirchenglocken, der Kirchenglockenklang ist immer eine höchst erfreuliche Nachricht. Die Glocken verkünden die Nähe Gottes, sein Kommen zu uns als Heiland und Spender der Gnaden, als Erlöser und Vergebender, als Licht, Trost und Barmherzigkeit. Die Kirchenglocken laden uns gleichzeitig ein, unser Herz auf Gott hin aus zu richten, ihm entgegenzugehen, der stets – in jeder Situation – zu uns kommt. Die neue Glocke wird diese Verkündigung noch verstärken, hörbarer machen. Die Glocken laden zur Eucharistiefeier ein, in der unser gekreuzigter Erlöser und Auferstandener wahrhaft unter uns auf dem Altar ist. Die Glocken läuten zum Mittagsgebet, um uns daran zu erinnern, dass Maria und durch sie uns allen verkündet wurde, dass der Gottessohn Mensch werden wollte und unter uns gewohnt hat und wohnt. Die Glocken ertönen beim Hinschied unserer Verstorbenen, nicht um uns traurig zu stimmen, sondern um uns zu vergewissern, dass der Auferstandene die Verstorbenen zum ewigen Leben und Heil führt. Auch sonst, in allen wichtigen Ereignissen und in besonderen Situationen der Gemeinschaft, verkünden die Glocken, dass Gott auch in solchen Momenten uns nahe bleiben will.
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Christinnen und Christen, auch unsere Berufung in der Nachfolge Christi sollte nichts anderes sein, als sozusagen lebendige Glocken zu sein, mitten in unserer Welt und Gesellschaft, mitten in allen Belangen und Vorkommnissen, im Grossen und Kleinen, welche die Nähe Gottes verkünden, glaubwürdig darstellen und Zuversicht vermitteln. Tönt unser Leben so glaubwürdig, wie eine nicht gesprungene Glocke? Ist unser Leben eine Widerspiegelung der Liebe und Zuneigung Jesu zu allen Menschen?
Die neue Glocke ist dem hl. Bruder Klaus gewidmet. Bruder Klaus war viel mehr – als durch seine Worte – mit seinem ganzen Dasein, mit seinem Leben eine Verkündigung des Friedens, der Eintracht, des Zusammenhalts, der Geschwisterlichkeit. Er konnte den Menschen seiner Zeit deutlich und glaubhaft die Botschaft verkünden: Das Himmelreich ist nahe, das Himmelreich bleibt uns nahe, habt keine Angst, kehrt um, geht zu ihm: Friede ist allweg in Gott, denn Gott ist der Friede.
Die Welt braucht heute – vielleicht noch mehr als zur Zeit von Bruder Klaus – Menschen, die dank ihrer Gottverbundenheit laut und glaubhaft verkünden, dass der Friede möglich ist.
Es wäre nicht richtig zu meinen, dass Bruder Klaus in seiner Klause im Ranft sein wollte, um von den Anliegen der Welt verschont zu werden. Seine tiefsinnige Verbundenheit mit Gott brachte ihn der Welt noch näher und machte aus ihm eine wirksame Quelle des Heils und des Friedens für die Welt.
Es ergreift mich jedes Mal sehr, wenn ich am Anfang der Eucharistie die Gläubigen zurufe: «Der Friede sein mit euch». Das Wesentliche der christlichen Botschaft ist und bleibt immer dieses: «Der Friede sei mit euch». Es geht darum, der Welt, allen Menschen zu sagen, dass das Leben sich lohnt, dass wir untereinander in Frieden als Geschwister leben können, dass alles in der Welt Geschenk und Auftrag Gottes ist. Er ist und bleibt auf unserer Seite und deswegen kann schliesslich nichts schief gehen. Gott liebt uns. Er lässt uns nicht im Stich. Er ist Mensch geworden, um unser Leben zu teilen und um alles, was wir durchmachen, mit durchzumachen und mitzutragen. Als Gläubige sollten wir verkünden, dass die Menschen und die Welt eine gute Zukunft haben. Ja, als Christinnen und Christen sind wir dazu berufen, ein Segen für die Welt zu sein. Segnen, benedicere – wie wir wissen – bedeutet, das Gute, das Gott uns sagt, den Menschen zu vermitteln, so wie die Glocken. Ein Segen macht die Zusage Gottes zu uns Menschen sichtbar bzw. hörbar, so wie die Gegenwart Jesu auf Erden der sichtbarste Beweis der Liebe Gottes zu uns Menschen war und bleibt. Wie sehr machte das Leben von Bruder Klaus in der Welt und für die Welt, ja in unserer Heimat, das Heil Gottes sicht- und hörbar. Versuchen wir unermüdlich wie er – ohne verweltlicht zu sein und trotz unserer Schwächen und Unzulänglichkeiten – die Nähe Gottes sichtbar zu machen. Die Menschen brauchen diese Zuversicht. Die Menschen haben es dringend nötig, dass wir diese Zuversicht glaubwürdig verkünden. Seien wir selber – zusammen mit den Glocken dieser Kirche – Glocken, die das Heil der Welt verkünden. Amen
Zollikerberg-Zumikon, 17. November 2024
Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur
Fotos: Ursula Hersperger