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Bistum Chur

Predigt von Bischof Joseph Maria Bonnemain am Weihnachtstag, 25. Dezember 2021, in der Kathedrale in Chur

Liebe Mitbrüder, liebe Christgläubige

Wie wir nun aus dem Prolog des Evangeliums nach Johannes hörten, ist Gott aus einer total komfortablen, unendlich vollkommenen Lage, aus seiner göttlichen Fülle herausgegangen und ist als Neugeborener zu uns Menschen gekommen. Unternehmungslustiger kann man nicht sein. Gott hat ein riskantes Unternehmen gewagt. Er hat hier auf Erden – wir müssen nur die armseligen Umstände seiner Geburt betrachten – bei null begonnen. Wie wir hörten, hat er bei der Eröffnung dieses irdischen Geschäftes den möglichen Aktionären und Mitarbeitern vieles versprochen.

Auf diesem Hintergrund finde ich es angebracht, ausgerechnet heute, an Weihnachten, über die Geschäftsstrategie Gottes zu sprechen. Unsere eigene Geschäftspolitik sieht oft anders aus. Wenn wir etwas unternehmen, etwas wagen, versuchen wir und wollen „Nägel mit Köpfen“ machen. Wir neigen dazu, sofort und zwar selber Resultate sehen zu wollen.

Die Entscheidung, die Gott vor nun mehr als 2000 Jahren traf, war sehr überraschend: Er verlässt den Himmel, um eine Unternehmung auf Erden zu eröffnen: das Christentum. Er rekrutierte einige Mitarbeitende, motivierte zahlreiche Leute aller Couleur für seine Geschäftsvision – der Erfolg dauerte aber nicht lange. Das Ganze endete – wie wir wissen – in einer Katastrophe. Ja, man kann von einem totalen Bankrott sprechen. Aber unerwartet kam die Wende. Er war wieder da und das Geschäft begann erneut zu florieren. Noch überraschender ist das, was dann geschah: kaum brachte das Geschäft wieder Rendite, verliess er die Erde – ganz merkwürdig.

Ein Prinzip, das Papst Franziskus in seinem programmatischen apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ dargelegt hat, hilft uns, diese angesprochene Strategie Gottes besser zu verstehen. Der Papst spricht vom Prinzip, dass die Zeit mehr wert als der Raum ist. Er schreibt:

„Dieses Prinzip erlaubt uns, langfristig zu arbeiten, ohne davon besessen zu sein, sofortige Ergebnisse zu erzielen. Es hilft uns, schwierige und widrige Situationen mit Geduld zu ertragen oder Änderungen bei unseren Vorhaben hinzunehmen, die uns die Dynamik der Wirklichkeit auferlegt. (…) Eine der Sünden, die wir gelegentlich in der sozialpolitischen Tätigkeit beobachten, besteht darin, dem Raum gegenüber der Zeit und den Abläufen Vorrang zu geben. Dem Raum Vorrang geben bedeutet sich vormachen, alles in der Gegenwart gelöst zu haben und alle Räume der Macht und der Selbstbestätigung in Besitz nehmen zu wollen. (…) Der Zeit Vorrang zu geben bedeutet sich damit zu befassen, Prozesse in Gang zu setzen anstatt Räume zu besitzen. (…) Es geht darum, Handlungen zu fördern, die eine neue Dynamik in der Gesellschaft erzeugen und Menschen sowie Gruppen einbeziehen, welche diese vorantreiben, auf dass sie bei wichtigen historischen Ereignissen Frucht bringt. (…)

Bisweilen frage ich mich, wer diese sind, die sich in der heutigen Welt wirklich dafür einsetzen, Prozesse in Gang zu bringen, die ein Volk aufbauen; nicht, um unmittelbare Ergebnisse zu erhalten, die einen leichten politischen Ertrag schnell und kurzlebig erbringen, aber nicht die menschliche Fülle aufbauen.“ (EG 222-224)

Im Herrn geliebte Christgläubige, es ist ein langes Zitat gewesen. Mir ist es aber wichtig, dass wir über dieses vom Papst zur Sprache gebrachte Prinzip nachdenken. Wahrscheinlich denken wir alle ziemlich spontan, dass unsere Politiker diese Worte von Franziskus beherzigen sollten. Aber hier geht es nicht um die Politiker, sondern um uns. Auch wir alle neigen dazu, sofortige Resultate erzielen zu wollen, den Überblick zu haben, vollendete Ergebnisse zu erreichen. Wir versuchen oft um jeden Preis etwas zu geniessen, zu besitzen, zu beherrschen, zu verstehen, zu überblicken. Das bringt viel Stress mit sich, manchmal viel Frust und alles andere als Gelassenheit. Gott aber hat mit seiner Menschwerdung einfach einen Prozess eröffnet. Dann zog er sich wieder zurück, überzeugt, dass dieser Prozess nach und nach Wirkung erzielen würde. Der Prozess Christentum läuft weiter. Wir sollten alles Gott anvertrauen. Er ist ein Experte in Investitionen, er ist der beste Verwalter des Lebenskapitals.

Ich gehe davon aus, dass manche von Ihnen diese Geschichte bereits gehört haben, die gut zum Weihnachtsfest passt:

„Ein junger Mann betrat im Traum einen Laden. Hinter der Theke stand ein Engel. Hastig fragte er ihn: „Was verkaufen Sie, mein Herr?“ Der Engel antwortete freundlich: „Alles, was Sie wollen.“ Der junge Mann begann aufzuzählen: „Dann hätte ich gern das Ende aller Kriege in der Welt, bessere Bedingungen für die Randgruppen der Gesellschaft, Beseitigung der Elendsviertel in der weiten Welt, Arbeit für die Arbeitslosen, mehr Gemeinschaft und Liebe in der Kirche und… und…“ Da fiel ihm der Engel ins Wort: „Entschuldigen Sie, junger Mann, Sie haben mich falsch verstanden. Wir verkaufen keine Früchte, wir verkaufen nur den Samen.“

Die Geburt Jesu war wie ein Same, der in die Erde gesät wurde. Die Heilsgeschichte ist alles andere als vollendet. Es braucht Menschen, die sich gerne daran beteiligen, nicht ungeduldig werden und nicht sofort Ergebnisse sehen wollen. Es braucht Menschen, die grosszügig ihr Leben investieren, solche, die den Samen der Verfügbarkeit und des Dienstes säen und auch solche, die Unannehmlichkeiten und Schmerzen – sozusagen als Düngemittel für das Wachstum – ebenfalls einsetzen. Mit einer solchen Einstellung wird der neugeborene Gott, ohne dass wir es kaum merken, in uns und mit uns wachsen. Ja, wir werden mit unserem Leben sein Leben auf Erden ernähren und zum Gedeihen bringen.

Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir uns entschliessen, etwas in Bewegung zu setzen, ohne vielleicht selber die Resultate betrachten zu können, haben wir eine gute weihnachtliche Entscheidung getroffen. Weihnachten war nur der Anfang einer neuen guten Geschichte. Fortsetzung folgt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen frohe und fruchtbringende Weihnachten. Amen